Was ist Empowerment, Bernward Causemann?
Bernward Causemann arbeitet als freiberuflicher Berater in der Entwicklungszusammenarbeit. Er berät vor allem nicht-staatliche Hilfswerke in Deutschland und in Entwicklungsländern, zum Teil aber auch staatliche Entwicklungsorganisationen. Dabei hilft er Organisationen, die Wirkung ihrer Arbeit zu erkennen und danach ihre Arbeit zu verbessern.
Im Rahmen meiner Vorbereitungszeit konnte ich mich zwei Mal jeweils zwei Tage im sonnigen Stuttgart mit ihm treffen um ein Einzeltraining von ihm zu erhalten. Ich bewundere sehr an ihm, dass er auf Grund seiner Erfahrung in der Entwicklungshilfe knallharter Realist ist, der nie seine Zuversicht verloren hat.
Dariush: Sie sind ja in Ihrem Arbeitsfeld schon viele Jahre unterwegs. Hat sich die Arbeit der Organisationen, die Sie im Laufe der Zeit kennen-lernten, tatsächlich professionalisiert und woran messen Sie das?
Bernward Causemann: Die Arbeit hat sich verändert und in vielen Fällen auch verbessert. Früher haben die Organisationen mehr den Armen geholfen, auf eigenen Beinen zu stehen. Heute helfen mehr Organisationen den Armen, ihre Ansprüche erfolgreich gegenüber dem Staat geltend zu machen.
Früher wurde zum Beispiel mehr auf Mineraldünger und Pflanzenschutzmittel gesetzt, was meist von Nachteil für die Armen war. Heute wird für die Armen zunehmend auf natürliche Anbaumethoden gesetzt, was die Erträge in der Regel krisenfester macht. Daher verschulden sich weniger Leute. Es ist insgesamt ein langsamer Wandlungsprozess mit Rückschlägen.
Zudem haben sich in den letzten 20 Jahren immer mehr Organisationen auch die internationale Politik in Augenschein genommen und setzen sich ein für mehr AIDS-Mittel, ein Klimaabkommen, gerechteren Welthandel, mehr Chancen für Ökoanbau, etc. Gerade Brot für die Welt hat da sein Engagement sehr verstärkt, auch wenn es das Anfang der 90er Jahre auch schon gab.
DG: Sie beschreiben in den ersten Sätzen etwas, was zur Zeit gerne mit dem Begriff „Empowerment“ beschrieben wird: Das Übertragen von Verwantwortung sowie das lehren selbst Verantwortung zu übernehmen. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass das Empowerment nicht nur ein Versuch ist, sich aus der Verantwortung zu schleichen und uns in den sogenannten Geberländern allmählich zurückziehen könnten?
BC: Ich übersetze Empowerment gern mit Emanzipation. Auch wenn wir in Deutschland Emanzipation meist nur mit Frauen verbinden (und manchmal von Emanzipation des Mannes sprechen), die Gedanken sind ähnlich: Wir helfen Menschen, dass sie die Bedingungen verändern, so dass sie gleiche Chancen bekommen, und wir helfen ihnen, sich innerlich zu befreien.
Empowerment steht in einer langen Tradition der Befreiung zur Mündigkeit. Wir sollten uns zurückziehen können, das ist der Grundgedanke der Entwicklungspolitik. Es gibt sicherlich auch die Bestrebungen, sich vorzeitig aus der Verantwortung zu ziehen, aber das wird anders begründet, nicht mit Empowerment.
DG: Können Sie aus ihrem Arbeitsumfeld ein Beispiel nennen, wo sich langfristig ein Empowerment/ Emanzipation eingestellt hat?
BC: Die beeindruckendsten Beispiele kommen aus dem Bereich der "Selbsthilfegruppen", wie sie in Südasien entwickelt wurden: Frauen treffen sich regelmäßig, sprechen über ihre Probleme und Erfahrungen, sparen zusammen und geben sich gegenseitig Kredite. Sparen ist wichtiger als Kredite, weil es Geld für Krisen gibt: Sie müssen sich nicht mehr verschulden. Und weil es Vertrauen schafft: Sie vertrauen sich gegenseitig Geld an, und dann vertrauen sie sich auch ihre Probleme an.
Auf der Basis dieses Vertrauens machen sie viel zusammen. Vielleicht fangen sie damit an, das Dorf zu putzen - eine Frauentätigkeit, die von den Männern akzeptiert wird, aber dann gehen sie weiter. Viele Gruppen helfen Frauen, dass sie nicht mehr von ihren Männern verprügelt werden. Sie zerstören illegale Schnapsbrennereien oder sie besorgen sich staatliche Mittel, um für jedes Haus Toiletten zu bauen. Da ist großes persönliches Wachstum zu sehen.
DG: Was sehen Sie denn als die grössten Hindernisse für einen solchen Prozess? Haben die Regierungen in solchen Ländern denn ein Interesse an einem "emanzipierten" Volk? Und, sind wir uns eigentlich sicher, dass unser Gegenüber ein Empowerment/Emanzipation will? Ist es nicht bequemer Hilfeempfänger zu sein?
BC: Ich habe auch Menschen getroffen, die lieber Hilfeempfänger sein wollten. Das war aber selten und passierte eher da, wo sie schon oft Nothilfe erlebet haben. Es ist ein Dilemma: Einerseits brauchen sie Hilfe, andererseits kann leicht Abhängigkeit entstehen. Es ist weniger die sofortige Nothilfe als die längerfristige Nahrungshilfe: Es braucht eben ein Jahr bis zur nächsten Ernte.
DG: Eine letzte Frage, wir konzentrieren uns natürlich in der Entwicklungszusammen- arbeit auf bestimmte Partnerländer. Gibt es aber nicht auch in Deutschland/Europa Menschen, die Anleitung beim Empowerment bräuchten. Gib es in desem Bereich eigentlich Bespiele für Projekte oder Arbeitsideen?
BC: Nicht aus der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist Aufgabe der Sozialhilfe, der Jugendhilfe, die staatlich und nicht-staatlich passiert. Und wir haben da das gleiche Problem: Oft ist es zu bürokratisch: Wer sich nicht selber helfen kann, wie soll der all die Anträge stellen und wissen, was für ihn das Beste ist? Oft erzeugt es auch Abhängigkeit. Ich meine, dass die deutsche Sozialhilfe reformiert werden müsste, um mehr zur Mündigkeit der Betroffenen beizutragen. Es gibt auch viele Fälle, in denen das gelingt, aber ein Teil ist wirklich problematisch.
DG: Lieber Herr Causemann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
BC: Gerne.